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Philipp Plein: Nichts ist ihm zu groß, zu laut, zu protzig

Philipp Plein ist Deutschlands erfolgreichster Modeexport, der mit viel Bling auf sich aufmerksam gemacht hat. Nun will er den US-Markt erobern. Die Strategie? Spektakel! Samt Knast-Model und Madonna.

Draußen liegt Schnee, und in dem Townhouse ist es kalt. Es wurde erst vor einem Jahr aufwendig renoviert, aber in New York fällt ja immer irgendwas aus. Diesmal die Heizung. Der Modemacher und seine Manager ziehen trotzdem im Foyer die Schuhe aus. Schließlich sind die Böden frisch gemacht, und der langflorige helle Teppich unter dem Sofa ist schmutzempfindlich. Von der Decke hängen dicht an dicht Dutzende von Kristallleuchtern. Nachts bleiben Passanten stehen und bestaunen durchs Fenster diese Lichtinstallation in dem siebenstöckigen Haus. Dabei kennen sie noch nicht mal dessen Finessen: den riesigen Marmoresstisch, das Fitnessstudio, den Champagner-Raum. Champagner. Auch wenn der Hausherr keinen Alkohol trinkt, sondern am liebsten Diet Coke.

Der Hausherr heißt Philipp Plein. Er ist mit Abstand der erfolgreichste Modeexport, den Deutschland seit sehr Langem hervorgebracht hat. Sein Markenzeichen sind Lederjacken mit Kristalltotenköpfen, also Klamotten für Menschen, die es laut und teuer möchten. Aber diese Einschätzung greift möglicherweise zu kurz. „In meinen Augen ist er ein junger Armani“, sagt Graziano de Boni, President North and South America bei Philipp Plein, der vorher für einige der wichtigsten italienischen Modehäuser gearbeitet hat: „Er hat die gleiche Doppelbegabung: Designer und Unternehmer.“ Ein großes Lob. Aber bei Plein kann es grundsätzlich nicht groß genug sein. Er hat seine Firma praktisch aus dem Nichts aufgebaut, macht derzeit 300 Millionen Dollar Umsatz im Jahr, hat kürzlich das Reiche-alte-Männer-Label Billionaire übernommen und die Linie Plein Sport gelauncht.

Plein ist stolz darauf, dass er keine Schulden und keine Investoren hat. Damit ist er in der Branche die große Ausnahme. Zudem ist er ein leidenschaftlicher Selbstdarsteller. Andere Designer sprechen am liebsten nur mit Vertrauten über Keramikkünstler oder alte Filme, er stellt sich vor seinen Shows vors Publikum und erzählt, wie er im „Forbes Fortune 500“-Magazin neue Business-Ideen findet. Plein ist mehr als ein Erfolgstyp, der umstrittene Mode verkauft. Er steht für die dramatischen Änderungen, die derzeit die Modebranche erschüttern: Die Deutungshoheit der alten Institutionen ist geschwunden, Designer suchen den Direktkontakt zum Publikum, Marken werden stärker als Trends, Mode wird Unterhaltung. Und jetzt will Plein den amerikanischen Markt erobern. Noch drei Tage bis zur Show. Dafür hat er die Public Library gemietet, einen der prominentesten öffentlichen Bauten der Stadt. Eigentlich hatte er an Liberty Island gedacht, an einen Standort gleich neben der Freiheitsstatue. Aber da wird gerade ein Museum gebaut. Immerhin liegt in der Einladungsschachtel eine Miniaturversion des Denkmals. Mehr Pathos und Anspruch geht kaum. Ein Plein kommt nicht in eine Stadt. Er erobert sie. „Make New York Fashion Week Great Again“, lautet sein Schlachtruf. Ob die New Yorker diesen Humor teilen? Egal.

Plein hat andere Sorgen. Der Lichtdesigner will zu viel Geld. Auf der After-Show-Party darf nur Wodka ausgeschenkt werden, wenn es auch etwas zu essen gibt, so sind hier die Vorschriften. Und sein Ehrengast Madonna braucht jetzt (!) sofort (!) drei Alternativoutfits, weil sie noch nicht entschieden hat, was sie an dem Abend anziehen wird. „Schick ihr auch Schuhe“, weist er seine Mitarbeiterin an: „In 38 und 39. Sicher ist sicher.“ Mehrere Millionen Dollar wird der Abend ihn kosten. Was nicht ohne Ironie ist. Denn Plein ist überzeugt: „Modenschauen sind Geldverschwendung.“

"Ich will, dass du dich wie ein König fühlst!" - Philipp Plein zu seinem Model, dem Rapper Fetty Wap. Beide tragen die neue Kollektion, die Plein in New York vorstellte. )Quelle: ANDREW WHITE/The New York Times)

„Ich will, dass du dich wie ein König fühlst!“ – Philipp Plein zu seinem Model, dem Rapper Fetty Wap. Beide tragen die neue Kollektion, die Plein in New York vorstellte. (Quelle: ANDREW WHITE/The New York Times)

Der Mann ist 38 Jahre alt, trägt ein weit ausgeschnittenes T-Shirt unter dem Karohemd und dazu eine Lederhose mit diversen Extranähten und Reißverschlüssen. Er ist stark tätowiert, allerdings nicht im Gesicht, und wirkt ständig, als käme er gerade aus dem Gym. Nicht unbedingt verschwitzt, aber unter Strom. Er kann höflich und gewinnend sein, aber auch fordernd und scharf. Im Interview redet er schnell und ohne sich groß um Fragen zu scheren. Dass mehrere leitende Mitarbeiter danebensitzen und stundenlang seinen Monologen zuhören, beflügelt ihn. Für Männer wie ihn wurde der Begriff Alphatier erfunden. Dabei ist er eher ein Underdog. Aufgewachsen in Nürnberg, bessere Mittelschicht, viele Schulwechsel, ursprüngliches Berufsziel: Jura. Er hat dann Möbeldesigner begonnen und ist in die Mode reingestolpert. In Mailand musste er sich seinen Platz im Schauenkalender mühsam erkämpfen, über seine Ästhetik rümpfen viele die Nase.

Auf einen Designer aus Deutschland mit Vollgasmode hatte keiner gewartet. Plein spornte das eher an. Er gewann früh die Chefredakteurin der italienischen „Vogue“, Franca Sozzani, als Mentorin. „Sie war eine Freundin. Mit Freunden redet man nicht über den Beruf“, sagt er über die jüngst verstorbene Legende: „Ich habe sie ein einziges Mal um eine Telefonnummer gebeten. Das war’s.“  Er lässt seine Kampagnen von dem Starfotografen Steven Klein fotografieren, bei seinen Shows berühmte Rapper wie Lil Wayne oder Snoop Dogg auftreten. Seine ultramaskuline Ästhetik und der ironiefreie „Bling“ seiner Kleider bedient sich bei der Hip-Hop-Kultur und findet hier passende Markenbotschafter.

Beim Styling seiner Kollektion berät ihn Carine Roitfeld, ehemals französische „Vogue“, eine weitere Institution der Modewelt. Sie sitzt beim Fitting am nächsten Tag neben ihm, stochert in ihrer Hühnersuppe und fragt, durchaus umsichtig, ob man auch Madonnas Tochter Lourdes eingeladen habe. Plein trifft derweil blitzschnell Entscheidungen und albert zwischendurch mit dem Männermodel aus Holland über dessen letzten Fotoshoot: „Fandest du das gut, in die Büsche zu pinkeln?“ Später kommt der Rapper Fetty Wap mit Entourage vorbei, der bei der Schau laufen soll. „Ich will, dass du dich wie ein König fühlst“, ruft Plein und komplementiert den Mann mit den schläfrigen Augen in eines der spektakulärsten Outfits: einen bodenlangen Pelzmantel, der komplett aus schwarz-weißen Philipp-Plein-Logos zusammengesetzt ist. Dieser Mantel ist Programm. „Man braucht Selbstbewusstsein, um meine Sachen zu tragen“, sagt Plein. Tja. Die Hosen sind eng und angefetzt, die Daunenjacken überübergroß, die Frauenstiefel oberschenkelhoch geschnürt. Dazu Totenköpfe, Wolfspelzstulpen, schwarze Alligatorenjacken, die auf den Kopf gestellte US-Flagge und immer wieder Plein, Plein, Plein.

Ein schwarzes Kleid ist mit den berühmten Harley-Davidson-Flammen übersät, ein anderes mit dem Schriftzug „Neighborhood Kings“ zugepflastert. Ein weiteres Leitmotiv: Teddybären mit und ohne Dollarzeichen, die auf die Jacken geheftet werden. Es ist die Garderobe für eine sexuell aufgepeitschte Mutantenarmee, die nur den Sieg kennt: Mixed Martial Mode. Er variiert also Bekanntes, und mit dieser Strategie ist er nicht der Einzige. Immer mehr Modehäuser haben sich von der Idee verabschiedet, neue Trends, Looks und Silhouetten zu erfinden. Dafür ist der Rhythmus der Kollektionen zu atemberaubend geworden. Und es hat sich der Glaube durchgesetzt, dass Kunden sich bei einem Label zu Hause fühlen wollen: ob es die Balmain-Gäubigen sind, die jungen Gangs um Gosha Rubchinskiy oder Vetements oder die unübersehbaren Gucci-Fans.

Diese Marken stehen für sehr unterschiedliche Mode, aber die Strategien ähneln sich: Die Häuser geben ihren Fans, was diese erwarten. Losgetreten hat dieses Vorgehen Hedi Slimane, der Saint Laurent mit raffiniert geremixtem Flohmarkttrash auf ein „all-time high“ katapultierte. Die Modekritikerin Cathy Horyn sah darin das Ende jeder Art von kulturellem Anspruch oder Fortschrittsstreben in der Mode. Musste allerdings zugeben, das Slimane die Zeichen der Zeit verstanden hatte. Dass Mode heute mehr sein muss als Mode, führt Philipp Plein seit Jahren vor. Seine Shows waren in den letzten Jahren stets die extravagantesten Spektakel, die Mailand zu bieten hatte: Jet-skis in einem Freibad, ein Ring mit echten Boxern, ein vollverglastes Gym, ein quietschbunter, surrealer Freizeitpark mit Kettenkarussell. Plein hat verstanden, dass Mode heute Entertainment ist. Und dass eine Marke direkt mit den Konsumenten kommunizieren muss. „Modemagazine werden verschwinden“, sagt er: „Es wird keine neue Anna Wintour mehr geben.“ Dass er nun in New York zeigt, ist nur konsequent. Er will und muss diesen Markt knacken.

Vor allem aber ist die Stadt noch immer die größte Bühne der Welt. Hier hat der Rapper Kanye West vor einem Jahr vorgemacht, wie man Mode inszenieren kann: als von der sehr berühmten Künstlerin Vanessa Beecroft kuratierte Performance im Madison Square Garden mit anschließendem Konzert. Dass West diese Saison leiser auftrat, kann Plein nur recht gewesen sein. Er dagegen trumpft mit seinem New-York-Debüt auf. Auf die Fassade der Public Library hat er die amerikanische Flagge projizieren lassen. Auf den Stufen stehen ein Elvis-Imitator und trotz winterlicher Kälte ein nur mit Unterhose bekleideter Gitarrenspieler, drinnen haben sich Frauen als berühmte Wolkenkratzer verkleidet. Selten war der Begriff Modezirkus treffender. Als Madonna endlich eingetroffen ist, hält Plein eine kurze Rede: „Ich bin ein Traumjäger. Ich glaube so lange an meine Träume, bis sie wahr sind.“ Dann spielt die Hip-Hop-Legende Nas, danach The Kills, dann marschieren die Models die langen Gänge auf und ab.

Eine weitere kleine Sensation: Jeremy Meeks, ein Mann mit Augen wie ein Husky und Lippen wie ein Versprechen – und schon mal verurteilt wegen Waffenbesitzes. Sein Festnahmefoto produzierte 2014 eine kleine Begeisterungswelle. Die Wege zum Ruhm sind unergründlich. Meeks’ Auftritt bei der Plein-Show war seine Premiere als Catwalk-Model. Der Designer pflegt nach seinen Schauen eine wohlsortierte Zweiklassenparty. Die Massen tanzen, die Wichtigen tafeln: Paris Hilton, Pleins Schwester mit Verlobtem. Kurz vor Mitternacht ruft Plein seinen VIP-Gästen zu, dass jetzt bitte alle auf die Tische steigen und zu Tina Turners Hit „What’s Love Gotta Do With It“ in den Valentinstag tanzen sollen. Und bitte bloß nicht um die Gläser und Teller kümmern! Neben Plein und seiner gertenschlanken Freundin Andrea tanzt der als „niedlicher Gangster“ berühmte Meeks. Jede Frau will mit ihm fotografiert werden, sein Glas ist dauervoll. Er lächelt und schwankt. Aber vom Tisch fällt er nicht. Es ist auch sein Abend. Der Gastgeber ist irgendwann verschwunden. In diesem Jahr werden noch mehrere Läden eröffnet, die Renovierung seiner Villa in Bel Air muss auch überwacht werden. Er liebt den großen Auftritt, aber die Arbeit geht höher, schneller, weiter.

Quelle: DIE WELT

Foto: 2016 wählte GQ Plein zum Mann des Jahres (Quelle: Getty Images for GQ/Getty Images Europe)

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